Freitag, 7. Februar 2020

Karriere Survival Guide

Oder: Wie man die eigene Karriere unbeschadet übersteht.

Überall werden einem Tipps gegeben, wie man seine Zeit optimiert, sich gut verkauft, ideal kleidet, perfekt benimmt, das hilfreichste Netzwerk aufbaut, die beste Weiterbildung kriegt etc. Ergebnis, wenn's gut läuft: Karriere, Macht, Geld. Wenn's nicht so gut läuft: Burnout, Deppressionen, Dissoziation, Einsamkeit you name it. Hier also mal meine Tipps, wie du dich von deiner Karriere nicht unterkriegen lässt.

1.) Nimm deinen Job nicht zu ernst.

Ja, manche werden jetzt sagen, das ist der beste Weg zur Mittelmässigkeit und der schnellste ins RAV. Nicht unbedingt. Natürlich soll man seine Aufgaben gut und zuverlässig erledigen, proaktiv Vorschläge bringen, teamfähig und diplomatisch sein und so weiter.


ABER man soll nie dem Irrglauben verfallen, man wäre niemand ohne den/einen Job. Oder man wäre unersetzlich. Du bist für deinen Arbeitgeber genauso austauschbar, wie dein Arbeitgeber für dich. Punkt. Es bricht weder eine Welt zusammen, wenn du nicht mehr hier arbeitest, noch, wenn du den Aufgabenbereich komplett verlässt = dich beruflich neu orientierst. Diese Einstellung finde ich überhaupt elementar, damit man sich weiterentwickeln kann (dazu weiter unten mehr).

2.) Pflege ein internes Netzwerk, investiere ins Socializing

Ich erlebte es immer wieder, dass Leute (vor allem Männer), die eine ausgeprägte Nonchalance (genauer: Faulheit, Schlampigkeit, Gleichgültigkeit, Ignoranz) an den Tag legen, trotzdem häufiger be- und gefördert werden, als ihre (meist weiblichen) Kolleginnen, die sich abrackern. Das ist im Endeffekt natürlich schädlich für das jeweilige Unternehmen, aber solange die Chefetagen von (ebenfalls eher homo ökonomicus-) Männern besetzt bleiben, wird es sicher so bleiben. Will man - ob Frau oder Mann - also ein bisschen einfacher Karriere machen, hilft es, viel Zeit mit den Mitarbeitenden zu verbringen (Mittagessen, Apéros, Kaffee-Päuschen) und Meetings eben doch nicht nur nach dem Aspekt der "unbedingten Notwendigkeit, um Sachfragen zu klären" einberufen, sondern auch, um die Schlüsselpersonen wiedermal von Angesicht zu Angesicht getroffen zu haben. Es ist unbezahlbar! Natürlich machst du dich lächerlich, wenn du ein Meeting organisierst, wenn es ein Email getan hätte, aber dann arbeite halt an der Agenda und bezieh die Leute stark ein.

Warum? Beziehungen und "Kollegen-Kuscheln" lohnen sich enorm (rein platonisch!!). Es wertet dich als Mitarbeiter in deiner aktuellen Abteilung auf und sie wird nützlich sein, wenn du dich intern irgendwann auf eine andere Stelle bewirbst oder eine Beförderung möchtest.

3.) Nimm nichts persönlich, das nicht persönlich zu nehmen ist.

So, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Damit du es besser verstehst, gebe ich dir konkrete Beispiele.

a) Kündigung durch den Arbeitgeber

Die meisten Menschen nehmen gerade eine Kündigung extrem persönlich. Aus meiner langen Karriere weiss ich aber, dass viele (wenn nicht die meisten) Kündigen mehr mit den Umständen der Firma zu tun haben, als mit der Persönlichkeit oder Leistung des Mitarbeitenden. Und selbst WENN der Chef / die Chefin dir kündigt, weil er/sie deine Fresse nicht mehr sehen kann: Fuck them. Nicht deine Schuld.

Meiner Meinung nach passieren die meisten Fehler, die später zur Kündigung führen, bereits im Einstellungsprozess. Wenn man übrigens per se von einem Fehler ausgehen will. Man kann Kündigungen auch einfach als Teil des Spiels sehen - denn wir alle sterben ja auch irgendwann. Den Tod sieht aber niemand als "Systemfehler" an, sondern eher als die Lösung für sehr viele Probleme, die wir ohne ihn hätten.

Trotzdem, manche Kündigungen, vor allem in den ersten drei Jahren einer Anstellung, wären zu vermeiden: Die Stellenbeschreibung entspricht nämlich oft nicht dem effektivem Aufgabenbereich. Warum? Weil sich viele Firmen attraktiver darstellen, als sie sind, um an Fachkräfte zu kommen, die sie sonst nicht kriegen würden. Das hat zur Folge, dass der Mitarbeiter schnell demotiviert ist und sein Potenzial nicht ausschöpfen kann. Kündigt er nicht, muss es (aus Scham und Frust) früher oder später der/die Vorgesetzte tun.

Oder die Firma hat - auch basierend auf der zu attraktiven Stellenbeschreibung - ein zu hohes Gehalt gesprochen und stellt im Nachhinein fest, dass sie sich das doch nicht leisten will oder kann und es ein weniger gut ausgebildeter Angestellter auch tun würde.

Oder die eingestellte Person wurde nicht auf die Fähigkeiten geprüft, die sie benötigt, um die Aufgaben zu bewältigen, die man ihr später gibt - vor allem wenn es dann eben nicht die aus der Stellenbeschreibung sind. Dann heisst es, die Person sei ungeeignet oder zu wenig kompetent oder "nicht genug belastbar". Auch oft gehört: Unkooperativ, weil sie sich - berechtigt - geweigert hat, Arbeiten auszuführen, für die sie nicht angestellt worden ist. Vielleicht gibt es sogar mehrere Tadelgespräche, aber unterm Strich ist das immer noch nicht der Fehler des Mitarbeiters.

Vermeiden kann man obige Situationen übrigens nur mit viel Erfahrung und geschicktem Nachfragen in den Vorstellungsgesprächen. Und auch dann hat man keine Garantie, dass man ehrliche Antworten erhält. Auf keinen Fall sollte man sich aber von so einer Kündigung runterziehen lassen.

Übrigens: Kündigungen aufgrund schlechten Geschäftsganges werden häufig verschleiert. 
Kein Witz! Gerade KMUs kündigen in problematischen Phasen Mitarbeitenden unter Angabe falscher Gründe, weil nicht riskiert werden will, dass bekannt wird, dass es der Firma schlecht geht. Das ist sehr unfair dem Mitarbeiter gegenüber, aber leider gängige Praxis. Zuerst entledigen sich Firmen den teuren Mitarbeitenden (Kader), den Neuen (da noch nicht viel Know-How gesammelt), den leicht Ersetzbaren und denen, die keinen direkten Umsatz bringen / nicht am Kunden arbeiten. Das eigene Image ist ihnen also wichtiger, als die Psychohygiene der Gekündigten. Bezeichnend! Rächt sich aber heutzutage auf kununu.ch. Die Leute sind ja nicht blöd.

b) Übertriebene Kritik

Wird man für eine Kleinigkeit, ein Versehen, einen Flüchtigkeitsfehler oder gar für eine marginale "Unterlassungshandlung" übertrieben kritisiert, hat das meistens etwas mit mangelnder Führungsqualität der Vorgesetzten zu tun. Man merkt es auch daran, dass man auf der andern Seite von dieser Person auch kaum Anerkennung für gute Leistung erhält.

Fehler passieren und wenn sie sich nicht dauernd wiederholen, wenn der Mitarbeiter daraus lernt und man sieht, dass er Fehler zu vermeiden sucht, dann sollte es okay sein. Als Vorgesetzter sollte man viel eher dafür sorgen, dass Prozesse etabliert werden, mit denen sich Fehler vermeiden lassen (vier-Augen-Prinzip, Qualitätssicherung, regelmässige Reviews, ausreichend Ressourcen, Stellvertreterregelungen etc.) und Fehler grundsätzlich als normal deklarieren ("positive Fehlerkultur"). Hat man es mit so einem/einer Chef/in zu tun, lohnt es sich unter Umständen, selber für die Prozesse zu sorgen, die er/sie nicht hinkriegt. Man erweist damit nicht nur sich selbst einen Gefallen.

c) Anfeindungen aus Neid und Missgunst

Ich hab es lange nicht verstanden, wieso mich gewisse Leute (Frauen wie Männer) ohne ersichtlichen Grund praktisch von Anfang an anfeindeten, dumme Sprüche klopften oder über mich lästerten. Dass sie neidisch waren, ist mir lange nicht in den Sinn gekommen. Ich neige selber nicht dazu, mich mit andern zu vergleichen. Viele Leute tun das aber. Entgegenwirken kannst du mit Socializing (siehe oben). Versuche aber nicht, sie gefällig zu stimmen, indem du ihnen eine Vorzugsbehandlung zukommen lässt. Das würde nämlich bedeuten, dass ihr inakzeptables Verhalten auch noch belohnt wird, sprich funktioniert. Damit werden sie darin nur noch bestärkt. Ich rate, allen Kolleginnen und Kollegen regelmässig "Strokes" auszuteilen, und zwar am wirksamsten in Teammeetings. Ein klassischer Stroke ist zum Beispiel: "Ich sehe das gleich wie XY." Oder: "XY hat recht mit..." Oder: "Ich finde XYs Vorschlag gut, weil..." Das geht runter wie Öl und kostet dich überhaupt nichts.

Wenn du ihre Anfeindungen hingegen persönlich nimmst, bewegt ihr euch alle in der Abwärtsspirale aus falschen Vorstellungen, antizipierten Enttäuschungen und Frust. Muss aber auch gesagt sein: Bei manchen Leuten ist einfach Hopfen und Malz verloren. Die sind unzufrieden mit sich selber, ihrem Leben, und hassen einfach alles und jeden. Halte dich von denen nach Möglichkeit fern, sie sind toxisch.


4.) Pflege ein externes Netzwerk

Eine Kündigung kann auch aus heiterem Himmel kommen. Gerade, weil viele Firmen es laaaange verschleiern, dass es ihnen schlecht geht, aus Angst, ihnen würden sonst die guten Leute abspringen (alles schon erlebt, auch aus der Perspektive der frühzeitig Eingeweihten und zu Stillschweigen verdammten). In diesem Moment wirst du einfach froh sein, wenn du ein Netzwerk ausserhalb der Firma hast. Sei das nun zu Headhuntern, zu Leuten, die ähnliche Jobs wie du in andern Firmen haben etc. Ich habe bei solchen Leuten oft beobachtet, dass sie dann ganz offen mit ihrem Jobwechsel umgegangen sind und über LinkedIN oder XING oder Facebook publik gemacht haben, dass sie etwas neues suchen. Braucht aber Eier. Nicht jeder geht so offen mit einem Jobverlust um, und das ist verständlich, da er immer noch stark stigmatisiert.

5.) Pflege dein Privatleben

Dein Job ist nicht alles. Deine Gesundheit und dein privates Glück sind wichtiger. Pflege dich. Früher war es so, dass man sich mit "seiner" Firma identifizierte. Manche Leute arbeiteten 20, 30 Jahre oder länger dort - von der Lehre bis zur Pensionierung - aber in der heutigen Arbeitswelt muss man darauf achten, dem Job nicht zuviel Bedeutung zuzumessen. Zumindest nicht als unselbständig Erwerbender. Meiner Meinung nach könnte darum auch die "Gig Economy" Chancen bergen für uns alle - die Arbeitgeber, weil sie dazu gezwungen werden, Leistung statt Sitzleder zu honorieren - und für Arbeitnehmer, weil häufige "Jobwechsel" entstigmatisiert werden. Unterm Strich könnten wir alle - wenn wir es richtig angehen - sehr viel mehr Zeit für uns und unsere Liebsten gewinnen.

Solange man wie die meisten noch seine acht, neun, zehn... Stunden pro Tag "absitzen" muss, dann noch einen mehr oder weniger weiten Arbeitsweg zu bewältigen hat, und so nur minim Einfluss auf seine Zeit behält, so lange sollte man sehr bewusst mit seiner Freizeit und seinem Privatleben umgehen. Irgendwann wird es besser, bin ich sicher. Wir haben die Technologie, jetzt fehlt nur noch die richtige Arbeitskultur.


6.) Entwickle Dich weiter

Du tust niemandem einen Gefallen, wenn du nicht kritisch hinterfragst, ob dir deine Arbeit, dein Team, deine Firma noch gefällt und ob du nicht gerne eine Veränderung oder eine Weiter-/Ausbildung machen möchtest. Andere mögliche Entwicklungen, die der Balance förderlich sind, können mehr privater Natur sein: Vereinsarbeit, politische Arbeit, Lehrtätigkeit, Mentorship etc.


Vermeide es einfach, stehen zu bleiben. Das hat, ob es dir bewusst wird oder nicht, meistens einen sehr negativen Einfluss auf deine Arbeit, denn du wirst unflexibler und begegnest Änderung, die von aussen kommt, skeptisch oder gar negativ, satt sie freudig als Chance zu betrachten.

7.) Versuch wenigstens einmal in deinem Leben ein Standbein in der Selbständigkeit 

Was die Arbeitgeber von gestern noch nicht hinkriegen, schaffst du vielleicht als Selbständige/r von heute / morgen? In einem anderen Post werde ich einen Guide publizieren, wie man sich neben einem (Teilzeit-)Job selbständig machen kann oder wie man nicht mehr nur von einem Arbeitgeber abhängig ist, sondern mehrere "Gigs" zugleich hat (siehe auch "Sharing Economy", Wikpedia, Englisch). In der Zwischenzeit lies doch den Klassiker zu diesem Thema, "Die vier Stunden Arbeitswoche" von Tim Ferris.


Viel Erfolg.





Donnerstag, 6. Februar 2020

Dichtestress - was tun?

Ein Thema, das mich seit geraumer Zeit beschäftigt, und immer belastender wird, ist der Dichtestress. Junge Leute, sprich die heutigen Teenager und Twens, dürften sich erst gar nicht mehr an die Zeit erinnern, in der es Dichtestress noch gar nicht gab. Und da dies ein tendenziell "neues" Problem in der Schweiz ist, gibt es noch wenige Gegenstrategien.

Ursachen - woher rührt der Dichtestress?


Nun, die Ursachen liegen natürlich auf der Hand. Hatten wir im Jahr 1960 noch 5.4 Millionen Einwohner in der Schweiz, sind es heute annähhernd 9 Millionen. Ein Wachstum um 3.6 Millionen oder 66%.


Betrachtet man die Statistik der Anzahl total zugelassener Personenwagen in der Schweiz, erkennt man den Grund für Verkehrsüberlastung - waren 1960 noch knapp 500'000 Autos auf den Strassen, sind es heute über 4.5 Millionen. Heisst, dass durchschnittlich mehr als jeder zweite / jede zweite ein Auto besitzt, 1960 war es nur jeder Fünfte!

Anzahl zugelassene Personenwagen in der Schweiz

Bedenkt man nun, dass im ungefähr gleichen Zeitraum die Infrastruktur nur von 700km auf 1800km ausgebaut wurde - und anfänglich überhaupt nicht auf motorisierten, nationalen Verkehr ausgelegt war - und seit Jahren in einer veritablen Sackgasse steckt (die Autobahnen auf entscheidenden Strecken wie Bern-Zürich werden trotz Dauerstau nicht auf sechs oder acht Spuren verbreitert), sind Verkehrsstaus vorprogrammiert.

 

Bezeichnend ist auch die Entwicklung der Staustunden in der Schweiz. Dazu das Zitat des Bundesamtes für Statistik: "2018 wurden auf den schweizerischen Nationalstrassen 25 366 Staustunden registriert. Im Vergleich mit 2009 kommt dies einer Verdoppelung gleich, wobei in erster Linie die Staus wegen Verkehrsüberlastungen zugenommen haben."


Und obige Grafik zeigt nicht einmal, dass vor dem Jahr 2000 noch so ziemlich alles in Ordnung war. Es ist auch sehr logisch, wenn man die Grafik der Staustunden und die Grafik der Nationalstrassenlänge ab dem Jahr 200 vergleicht: Es gab kaum eine Entwicklung in der Nationalstrassenlänge, die Bevölkerung wuchs aber im selben Zeitraum von 7.2 auf 8.8 Millionen, die Anzahl zugelassener Fahrzeuge wuchs um 30% oder eine Million (!) von 3.5 auf 4.5 Millionen! Und hiermit ist die Entwicklung des kommerziellen Verkehrs (Lastwagen, Kleinlieferwagen etc.) noch nicht einmal berücksichtigt!

Hence - Dichtestress, wir leiden seit 2009 deutlich darunter


Ich bin kein Statistik- oder Verkehrsprofi, aber wenn ich die Hinweise gesamthaft betrachte, dann hat wohl anfänglich eine vom Bürger zwangsläufig initiierte "Bewegungsmuster-Optimierung" stattgefunden. Heisst, wir haben die Mängel der Infrastruktur durch angepasstes Verhalten kompensiert. Ein Teil dürfte erst auf Öffentlichen Verkehr umgestiegen sein oder hat sich vielleicht eine Stelle in der Nähe des Wohnortes gesucht oder umgekehrt, um nicht all zu weit fahren zu müssen. Ich meine - hat das denn irgendwer nicht? Aber irgendwann war es dann einfach zuviel, so wie es aussieht, spätestens ab 2009 (4 Millionen Fahrzeuge auf den Strassen):


Google Trends Thema: "Dichtestress"

 2014 gab es vermutlich einige Grossbaustellen, die massiv Verkehrsstau auslösten:


Google Trends Thema "Verkehrsstau"

Traurigerweise hat sich die Situation seither nicht mehr verbessert und blieb auf hohem Niveau schlecht.

Auf die Situation im ÖV gehe ich jetzt nicht ein, aber die Statistiken wären hier beim Bundesamt für Statistik Schweiz. Gesamthaft hat sich die Anzahl Pendler in der Schweiz zwischen 1980 und heute verdoppelt - von 2 Mio auf 4 Mio.




Was tun gegen Dichtestress?


Es gäbe meiner Meinung nach ganz einfache Lösungen, die noch dazu auf der Hand liegen.

Lösung 1: Telearbeit

Die Ursache vom Dichtestress sind zu 99% die Berufspendler. Sieht man ja schön, wenn man an einem Sonntagvormittag dieselbe Strecke bewältigt, wie an einem Montag um 7:30 Uhr. Erlaubt man als Arbeitgeberin nun Telearbeit statt Präsenzarbeit, reduziert / eliminiert man einen guten Teil des Pendelverkehrs. Einige Grosskonzerne in der Schweiz haben das Problem schon erkannt und setzen aktiv auf dieses Arbeitsmodell. So hat Swiss Re am 2018 eröffneten neuen Sitz in Zürich bewusst weniger Arbeitsplätze als Beschäftigte geschaffen und die Angestellten explizit aufgefordert, auch von zuhause aus zu arbeiten.



Dies bedingt natürlich einen krassen Kulturwechsel in den Chefetagen. Und natürlich darf der Stöffel vom Controlling jetzt auch nicht Büechli führen, wer wann wie lange am Platz war. Es geht neu darum, die Leistung der Leute zu bewerten, nicht ihre Präsenzzeit. Das ist eine Herausforderung. Als in meinen Augen sehr leistungsstarke Frau sehe ich es aber nicht nur für die Entlastung des Strassen- und ÖV-Netzes als Riesenchance. Beurteilt man nämlich alle Arbeitnehmenden nach ihrer Leistung - und dazu wird man Methoden entwickeln - wird endlich auch sichtbar, welches die echten Performer sind, und wer vor allem Sitzleder und Pausenklatsch pflegt. Das wird Teilzeit arbeitenden Müttern extrem zu gute kommen (siehe auch meinen Beitrag "Teilzeitstrategien").

Für die Einzelnen bedeutet Telearbeit auch, wieder mehr von seinem Zuhause zu haben, mehr Zeit mit der Familie oder Hobbies verbringen zu können und vor allem: Weniger Zeit in sinnlosen Staus!

2. Coworking-Spaces und Satelliten-Büros

Solange die Videokonferenz oder VR-Konferenz-Technik noch nicht überall auf sehr hohem Niveau etabliert ist, sprich - man hat Einschränkungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation - solange wird Telearbeit die Präsenzarbeit (Meetings, Workshops, Flurgespräche) nie wirklich ersetzen können. Darum sollten Firmen wenn möglich Co-Working Spaces bilden, jedoch nicht nur in Stadtzentren. Erstens löst das das Pendlerproblem überhaupt nicht (keine Parkplätze, viel Dichtestress), zweitens benachteiligt man da alle, die in Agglomerationen oder auf dem Land wohnen.

Satelliten-Büros ergänzen zentrale Coworking-Spaces. An verkehrstechnisch für "Auswärtige" günstigen Knotenpunkten, sprich leicht erreichbar, mit Parkplätzen etc. stellt die Firma Sitzungsräume, flexible Arbeitsplätze und Treff-Zonen zur Verfügung.

3. Fragmentierte Anstellungen / Teilzeitarbeit / Mehrfachbeschäftigung

Hinterfragen muss man heute meiner Meinung nach auch die Forderung nach unbedingter Loyalität zu einem einzigen Arbeitgeber. Die Grundhaltung ist heute meistens noch: Du hast Dich Deinem Arbeitgeber zu 100% zu verpflichten. Alles, was Du daneben tust, hast Du uns zu melden / müssen wir Dir erlauben. Wir schreiben zudem eine Konkurrenzklausel in Deinen Arbeitsvertrag, damit Du ja nicht auf die Idee kommst, Dich noch woanders zu engagieren. Das ist nicht zeitgemäss und repressiv.

Zudem ist es in vielerlei Hinsicht ein Riesenproblem

Erstens wird fast jeder Job, ob Vollzeit oder nicht, nach zwei Jahren etwas langweilig. Man hat alles schon einmal gemacht, es ergibt sich so gut wie nie die Möglichkeit, sich intern zu verändern oder gar weiterzuentwickeln. Nur in Grosskonzernen kommen Job-verändernde Beförderungen überhaupt vor. Die meisten Leute sind so bald mal demotiviert und werden ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen. Zweitens: Kriegt man von diesem Arbeitgeber die Kündigung, aus welchen Gründen auch immer, steht man gleich auf Null und muss zum RAV.

Hat man hingegen mehrere Teilzeitstellen (wie Mandate bei Selbständigen), ist man als Arbeitnehmer flexibler, hat mehr Abwechslung und verliert man eine Stelle, hat man immernoch die andere. In Zeiten, in denen mit dem "Humankapital" immer sorgloser umgegangen wird (Reorgs, Massenentlassungen, Standortverschiebungen) sollte den Direktbetroffenen, dem "Humankapital", auch mehr Flexibilität zugesprochen werden. Und damit meine ich nicht das Darüberhinwegschauen, wenn einer alle zwei Jahre die Stelle wechselt. Das ist keine Lösung, das ist Kopf in den Sand stecken.

Denn seien wir ehrlich: Motivierte Mitarbeitende, die auch noch ausserhalb ihres Betriebes Erfahrungen sammeln, sind doch den abgelöschten Sesselklebern und Jobhoppern vorzuziehen, oder? Leider muss in der Schweiz von Seiten Gesetzgeber noch nachgebessert werden, denn die Voraussetzungen für Mehrfachbeschäftigung ohne eigene Firma sind noch nicht gegeben. Und nicht jede/r möchte eine eigene Firma gründen, denn das ist mit einem grossen administrativen Aufwand - Buchhaltung, MwSt, Versicherungen, Vorsorge etc. verbunden (Danke, Bund!!).

Übrigens bin ich aus genau diesen Gründen gegen den Koordinationsabzug bei der AHV und für die freie Pensionskassenwahl. Beides ist nicht mehr zeitgemäss und absolut nicht im Interesse von Arbeitnehmenden.


Zusammenfassung

Man kann die negativen (auch gesundheitlich schädigenden) Auswirkungen von Dichtestress nicht so entgegenwirken, dass man die Pendlerströme und -zeiten meidet. Diesen Spielraum haben wir schon lange ausgereizt. Auch bauliche Massnahmen wie der Ausbau vom Strassen- und Schienennetz werden in den nächsten zwanzig Jahren keine Linderung bringen.

Viel schneller kann man und wird man meiner Meinung nach die Arbeitsmodelle anpassen. Und damit kann jede/r von uns heute anfangen, indem man im Büro einfach mal Homeoffice verlangt. Einfach mal ausprobieren statt aus Prinzip dagegen sein. Wenn die Firma dabeibleiben will und Talente anziehen will, dann muss sie mit der Zeit gehen und sowohl Teilzeitarbeit als auch Homeoffice ermöglichen. Konsequent. Und man darf die Leute dann eben nicht nach ihrer Präsenzzeit - was im Homeoffice dem Skype Status "online" entspricht - beurteilen, sondern nach dem, was sie liefern. Nicht mehr, nicht weniger.