Sonntag, 5. April 2020

Der Coronavirus Graben

Die ganze Welt ist von der Coronavirus Pandemie betroffen. Fast die alle Länder reagieren früher oder später mit einem "Lockdown". Abgesehen von den für einen Virologen und Epidemiologen an sich wenig beeindruckenden Zahlen (man google "Spanische Grippe" zum Vergleich) zeigen sich unter der aktuellen Ausnahmesituation erstaunliche, mitunter faszinierende gesellschaftliche Phänomene - oder Gräben. Korrekt muss nämlich im Plural gesprochen werden, denn es ist nicht nur ein Graben, der durch Corona zutage gefördert wird, es sind deren viele.

1. Der Generationen-Graben

...hat sich sehr schnell gezeigt und die Forderung danach, anstatt die ganze Schweizer Bevölkerung zum Daheimbleiben zu zwingen, nur die Risikogruppen zu isolieren, wird lauter und lauter. Und man muss sachlich zugeben: Jemand sollte irgendwann wieder arbeiten gehen und die Wirtschaft am laufen halten. Die Pensionäre sind das ja per se nicht. Meiner Meinung nach ist dieser Generationenkonflikt, der mit dem unsäglich dysfunktionalen Rentensystem schon lange brodelt, ein veritables Pulverfass.

2. Der Bünzli-Notbünzli-Graben

Manifestiert sich leider bereits im #staythefuckhome Hasthag. Ernsthaft: Selbst von meiner besten Freundin würde ich mir in dem Ton nichts sagen lassen. Die Schweiz kotzt jetzt an jeder Ecke ihre Hilfssheriffs aus. Jene, die wie es scheint ihr Leben lang darauf gewartet haben, es irgendwem heimzuzahlen. Das sind jetzt nicht mal nur die mit dem perfektesten Altpapierbündeli. Mir fallen vor allem die furchtbar gehässigen Hausfrauen auf. Jessesmaria. Jetzt keifen sich Spaziergänger an, Nachbarn rufen die Polizei um private (!) Gartenparties aufzulösen und in der Schlange vor dem Supermarkt töten sich Wildfremde mit Blicken oder schütteln laut den Kopf über Astandnichteinhalter. #getalife #forfuckssake #ilovesweden

3. Der nationalistische Graben

Es könnte ja sein, dass irgendwann diese 2000 oder was Intensivpflege-Betten mit Beatmungsgeräten besetzt sein werden. Gott bewahre, von Italienern, Franzosen oder sonstwelchen fremden Fötzeln - und Schweizern das Leben kosten!! Darum lasst diese Scheissgrenze zu, richtig? Das offenbart irgendwie die traurige Kehrseite der Globalisierungs-Medaille. Zur Erinnerung: 50% der Verstorbenen (in der Schweiz) waren über 80 Jahre alt, 45% über 65 und fast alle (97%) davon hatten eine Vorerkrankung (Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankung). Es trifft nur einen sehr kleinen Teil überhaupt, und vermutlich nicht dich. Also chills mal.
Zudem: Bis jetzt haben wir so viele freie Intensivbetten, dass der Bundesrat aktiv Patienten aus dem Elass einfliegt. Weil man weiss ja: sonst wird es dann später etwas peinlich, zu erklären, wieso Feldlazarette gebaut und 8000 Soldaten einberufen werden mussten, wenn nur ein Drittel der möglichen Beatmungsgeräte gebraucht wurden. Aber - Grenzen zu! Auf jeden Fall.

4. Der Graben zwischen gesund und ungesund

Die einen bashen die Jogger ("sie prusten das Virus aus!") die andern die Couchpotatoes ("verfettet doch zuhause!"). Tendenziell finde ich, die Unsportlichen und Raucher (die statistisch in der Tat öfter Diabetes und Bluthochdruck kriegen) sollten jetzt einfach kurz die Fresse halten. Lasst die Jogger joggen und geht woanders eine Schnute ziehen. Natürlich ist es verständlich, dass sich diese Risikogruppe (und dafür halten sich erstaunlich viele) bedroht fühlt. Fragt sich eher, ob sie wissen, dass ihre Vorerkrankungen zu einem signifikant höheren Sterblichkeitsrisiko führen, als eine Covid-19-Erkrankung. Just asking...

5. Der Graben zwischen White- und Blue-Collars

Ja, alle klatschen für die Ärzte, das Pflegepersonal, die Rettungssanitäter etc. und sofort werden auch Stimmen laut wie "Nehmt den Homeoffice-Schöggelern den Lohn weg und gebt ihn den Pflegerinnen". Well. Wer, genau, bezahlt eigentlich die Krankenkassenprämien und die Franchise? Die Steuern? Wer sind eigentlich Eure Kunden / Patienten? Und wer jammert jetzt plötzlich, wenn 30-50% weniger Notfallpatienten auftauchen? Wie viele von uns "Nichthelden" haben gerade ihren Job verloren, müssen Kurzarbeit anmelden oder verlieren ihr Geschäft, das sie über Jahre aufgebaut haben? Weil man das Gesundheitssystem nicht überlasten will? Etwas Demut und Bescheidenheit wären nicht fehl am Platz. Von den Lehrern hört man jetzt mit gutem Grund kein Gejammer mehr. Das von den Bauarbeitern wurde im Keim erstickt. Es ist ein System, ihr seid Leistungserbringer, wir auch. Wir sind Teil des ganzen. Ich sehe weit und breit keine Helden. Sicher auch dort nicht, wo man als Gesunder trotz Grippewelle noch arbeiten geht. Wenn ihr Euren Beruf gewählt habt, um Held zu werden, dann habt ihr was falsch verstanden.

6. Der Graben zwischen Gebildet und Ignorant

Die Schweiz liebt Daniel Koch (BAG). Kaum einer hat verstanden, warum ihn das Coronavirus überhaupt nicht beeindruckt. Er ist nämlich - wer hat's gewusst? - Arzt. Als solcher weiss er haargenau, der Lockdown verhindert keine einzige Infektion, er verschiebt sie höchstens. Früher oder später werden bis zu 70% der Bevölkerung durchseucht sein. Der einzige Grund für den Lockdown ist, man will die Spitäler nicht über ihre Kapazitätsgrenzen bringen. Unter dem Aspekt muss man die Sabotage der Wirtschaft wirklich betrachten und beurteilen, und unter keinem anderen. Übrigens vesteht man dann auch, wieso Schweden keinen Lockdown hat: Sie gehen davon aus, dass ihre Spitäler die Kapazität für eine "schnelle Welle" einfach haben.
Mich dünkt nun, es gibt einen Riiiiesengraben zwischen jenen, die diesen Zusammenhang verstanden haben, und jenen, die sich einbilden, sich einer Infektion auf Dauer entziehen zu können.

7. Der Graben in unserem Bett

Manche sagen, Weihnachten sei für Scheidungsanwälte das Sylvester der Handchirurginnen. Das Corona-Lockdown wird beides zusammen und mehr für für Tinder, Parship, Youporn & Co.
Wir wissen alle, es gibt soooooooo viele Leute, die eine Beziehung führen, die schon lange zu Ende ist. Corona dürfte bei so manchem dazu führen, diesen Zustand zu beenden. Und zwar, hoffentlich, ohne Handgreiflichkeiten und Beleidigungen, auch wenn es manchen vielleicht schwer fällt. Trennungen sind, wie berufliche Stellenwechsel, auch die Chance, dass Leute zusammenkommen, die sich wirklich zu schätzen wissen, und sich nicht nur gegenseitig dulden.

Alles Gute.