Mittwoch, 30. September 2015

Was wir vom Fliegen von Wasserflugzeugen lernen

Die meisten Menschen haben mehr auf dem Kasten, als sie denken. Ich prüfe diese Theorie jetzt schon mein ganzes Leben und staune immer wieder, zu was ich fähig bin, wenn ich es nur versuche. Was ein Mensch körperlich und geistig leisten kann, zeigt sich erst, wenn er an die eigenen Grenzen gegangen ist. 


"Do one thing every day that scares you." Ich versuche es zumindest ein oder zweimal pro Jahr.


Piloten wissen, dass vor dem Flugtraining fürs Wasserflugzeug erstmal die Grundausbildung auf normalen Kleinflugzeugen absolviert werden muss. Dabei lernt man einiges fürs (Über-)Leben, aber niemals soviel, wie mit einem fliegenden Boot!

Hier die vier Grundregeln aus dem Kanadischen Pilotenhandbuch und was sie für Dich als Lektion fürs echte Leben hergeben.

Regel 1: Gesunder Menschenverstand und angemessenes Urteilen


Piloten von Wasserflugzeugen sind auf sich allein gestellt: Sie müssen für jede Landung ihre eigenen Landestellen finden und beurteilen, ob diese sicher sind. Hat es auf dem Wasser schwimmende Teile? Baumstämme oder anderes? Sind da Felsen knapp unter der Wasseroberfläche? Ist das Wasser tief genug, zu rauh oder spiegelglatt? Wie ist die Strömung? Was ist mit anderem Flugverkehr? Woher kommt der Wind? Ist er böig?  Kann ich das Flugzeug wenden? Wo ist das Dock? Alles was Du in dieser Situation tun kannst, ist, Dein bestes Urteil anwenden, basierend auf der Situation, Deiner Erfahrung und Deinem Training.

Was lerne ich fürs Leben: Hab ich mein Flugzeug - mein Projekt - erst crasht, bringt es mir definitiv nichts mehr, anderen die Schuld dafür zu geben. Chefs, Kollegen oder Anwälte können dann auch nur noch das Beste aus der Situation machen und garantiert sind sie darüber "not amused". Auch Mami und Papi sind irgendwann nicht mehr imstande, meine Suppe auszulöffeln. Selbst wenn Du also ein echter "Teamplayer" bist - übernimm in jeder Situation so viel Verantwortung, wie nötig und möglich. Verantwortung macht Dich stark und gibt Dir Kontrolle.

Regel 2: Überstürze nichts


Du wirst in Situationen fliegen in denen es keinen Flugverkehrslotsen geben wird, der Dir Windrichtung, -Geschwindigkeit, Landebahnzustand oder Instruktionen zum Anflug geben wird. Es obliegt dem Piloten, sicherzustellen, dass die Landung gelingt. Es ist daher absolut in Ordnung, ein paar Mal über unbekanntes Terrain zu fliegen, bis Du sicher bist, dass eine Landung sicher durchführbar ist. Da sind viele Dinge auf die Du achten musst, speziell wenn Du das erste Mal in einem Gebiet landest.

Was ziehe ich davon fürs Leben: Im Geschäftsalltag kommt es immer häufiger vor, dass man Dir viel zu wenig Zeit für Deine Arbeit einräumt. Man probiert es einfach, bis es nicht mehr geht oder die Qualität unter aller Sau ist. Und das wird dann wem angekreidet? Dir. Ich hasse das! Es ist einfach respektlos. Zwei Dinge kannst Du dagegen tun - erstens halte Dich nicht ums Verrecken an Deadlines, besonders nicht an solche, zu denen Du Dich nie committed hast. Dass Aufgaben so schnell wie möglich bearbeitet werden, ist klar, aber noch wichtiger ist: Auch in der bestmöglichen Qualität. Was bringt es, eine Aufgabe dreimal zu machen, wenn man sie beim ersten Mal hätte richtig erledigen können? Die Generation meiner Eltern kannte noch keine E-Mails und Videokonferenzen, da war es einfach normal, anständig Zeit einzuplanen.
Zweitens: Wenn Du von jemandem etwas brauchst, gib ihr / ihm genügend Vorlaufzeit. Du kannst schlicht nicht davon ausgehen, dass die nichts anderes zu tun haben, als sich um Deinen Scheiss zu kümmern. :-) Lebe vor, wie Du selber gerne behandelt werden würdest.

Regel 3: Plane Deine Strategie


Die allerwichtigste Regel, die es beim Wasserflugzeugfliegen zu beachten gilt: Was wird als nächstes geschehen? Wenn Du Dein Flugzeug vom Dock losmachst und es loslässt, was passiert dann? Wenn Du landest und keine Bremsen hast (wie bei einem Landflugzeug), keinen Rückwärtsgang, eine vage Steuerung, böigen Wind und das Dock ist mit mit drei Meter hohen Frachtcontainern beladen, was machst Du als nächstes? Du landest stromabwärts auf einem schnell fliessenden Fluss, bist 'off the step' und möchtest ans Ufer taxien - was passiert als nächstes? Denke die Situation immer genau durch bevor Du auf sie reagieren musst!

Was lerne ich daraus: Je mehr Du um die Ohren hast, je weniger Zeit Dir bleibt, desto wichtiger ist Dein Plan. Nimm Dir regelmässig Zeit, die generelle Richtung privat und karriere-technisch zu setzen, und prüfe, ob Dein Kurs stimmt. Ansonsten landest Du im Irgendwo, einer Sackgasse, oder schlimmer - im Burnout. Kluge Manager/innen setzen sich jeden Morgen hin und priorisieren Ihre Aufgaben nach ihren ganz eigenen Prioritäten. Dabei planen sie auch Eventualitäten und Krisen ein.

Regel 4: Kenne Deine Grenzen


Es ist sehr wichtig, dass Du Deine eigenen Begrenzungen kennst. Pack Dein Piloten-Ego beiseite und flieg nur dorthin, wo Du weisst, dass Du zu fliegen vermagst. Ein kleiner, spiegelglatter Bergsee erfordert einen Haufen Erfahrung. In einem schnellen Fluss landen und andocken auch. Werde nicht Opfer des NO PROBLEM Syndroms und bring Dich nicht in eine Situation, die Du nicht mehr bewältigen kannst.

Was könnte das für meinen Alltag bedeuten: Lerne, zwischen einer Herausforderung und einer Überforderung zu unterscheiden. Das ist schwierig und am besten stellt man sich zur Unterstützung einen Coach, Mentor oder "Götti" zur Seite. Jemand, der Dich gut kennt, Deine Fähigkeiten und Dein Potential beurteilen kann und Dir hilft, voran zu kommen. :-) Hast Du niemanden solches, dann kannst Du versuchen, immer ein Hintertürchen zu schaffen, falls sich eine Herausforderung doch als Überforderung entpuppt. Siehe auch Regel 3.

Sonntag, 20. September 2015

Abgrenzung in einer Welt der Distanzlosigkeit

Die meisten von uns hatten vermutlich schon einmal einen Moment, in dem sie sich in ihrer Privat- oder gar Intimsphäre verletzt fühlten. Manchmal ist es die Schwiegermutter, die immer dann anruft, wenn man endlich frei und anderes zu tun hätte, oder - und das heute leider immer häufiger - der Chef schickt ein E-Mail nach Arbeitsschluss, das dringend beantwortet werden muss. Wie schafft man es, seinen Anspruch auf Freizeit durchzusetzen?


Als Single ohne Kind wird dies vermutlich weniger zum Thema, aber sobald die magische Grenze zur Elternschaft überschritten wird, ist Zeit plötzlich ein viel, viel, viiiiel wertvolleres Gut als je zuvor. Spätestens jetzt müssen wir lernen, mit ihr auch entsprechend zu haushalten. Dabei geht es um das in Einklang bringen eigener und fremder Erwartungshaltung.

Eigene Erwartungshaltung

Das Problem findet sich meist vor allem bei einem selbst: An sich selbst stellt man häufig die höchsten Erwartungen. Am einfachsten begegnet man diesen mit der Frage: "Wer hat eigentlich gesagt, dass...?" Hier ein paar Beispiele:
  • ...dass ich jedes Wochenende mit meiner Schwiegermutter telefonieren muss?"
  • ...dass ich nach Feierabend auf dem Handy meine E-Mails lesen und beantworten muss?"
  • ...dass ich bei jeder Sitzung des Vereins dabei sein muss?"

Das Problem dabei ist: Mit dem alten Verhalten hat man bei den andern über längere Zeit eine bestimmte Erwartungshaltung geschaffen. Ändert man sein Verhalten nun, muss man das den "Betroffenen" vorher irgendwie ankündigen. Sonst säht man Probleme. Aber man soll die Veränderung nicht diskutieren, sondern wirklich ankündigen. Ganz nach meiner "No Bullshit" Regel bedeutet das, die Konfrontation nicht scheuen und seinen Weg konsequent zu verfolgen, auch wenn der/die andere im ersten Moment nicht glücklich sein wird. Wie geht frau am besten vor?

Eltern, Geschwister etc.

Die Familie ist in aller Regel viel toleranter, als man denkt. Das liegt daran, dass sie keine andere Wahl haben, als zu akzeptieren; Sie können dich ja nicht aus der Familie ausschliessen, bloss weil du nicht so funktionierst, wie sie es gerne hätten. Und selbst wenn es zum Eklat kommt, ist er in der Regel von kurzer Dauer. Trotzdem sollte man bei der Familie immer mit Bedacht und Respekt vorgehen - sie ist auch umgekehrt nicht austauschbar und häufig viel wertvoller, als man es in der gegenwärtigen Lebensphase einzuschätzen vermag. Am einfachsten adressiert man das Thema unter vier Augen, z.B. mit der Schwiegermutter, und bleibt in der Ich-Form:
"(Vorname), ich würde unsere regelmässigen Telefonate gerne reduzieren. Unter der Woche bin ich nach der Arbeit zu müde und am Wochenende, nach der Hausarbeit, möchte ich mich entspannen und etwas Zeit für mich haben. Mir wäre es lieber, wenn wir unsere Gespräche auf den nächsten Besuch verschieben."
Damit hast du klipp und klar gesagt, was du warum ändern möchtest und auch einen Vorschlag für einen Kompromiss gebracht. Noch ein Tipp: Wenn sie jetzt trotzdem noch anruft, kannst du mit gutem Gewissen nicht rangehen. Das ist nur konsequent und die Schwiegermutter weiss, dass du es ernst meinst. Vermeide beim Gespräch auf jeden Fall Vorwürfe ("Du rufst immer zum falschen Moment an." "Du nimmst keine Rücksicht auf mich."). Man kann sowas ganz sachlich kommunizieren und du meinst es ja auch nicht als Vorwurf; Es geht ja in erster Linie um dich und dein Bedürfnis nach mehr Freizeit.

Arbeitgeber

Bei Vorgesetzten gestaltet es sich zwar heikler, sich abzugrenzen, aber eigentlich auch wieder nicht; Per Gesetz kann nicht von dir verlangt werden, dass du nach Erreichen der Soll-Arbeitszeit noch E-Mails oder Anrufe bearbeitest. Schon gar nicht, wenn du für dein Handy privat aufkommst. Die Erwartungen, die heute während der Arbeitszeit an einen gestellt werden, sind meiner Meinung nach ohnehin genug hoch. Darum schlage ich persönlich vor, auch hier das Gespräch mit dem Chef / der Chefin zu suchen und ein klares Statement abzugeben:
"(Vorname), ich schätze das Vertrauen sehr, das du mir schenkst, und freue mich über die Verantwortung, die du mir gibst. Ich hoffe, deinen Erwartungen als Mitarbeiterin zu entsprechen, möchte in Zukunft nach Feierabend jedoch keine E-Mails und Anrufe mehr bearbeiten, da ich festgestellt habe, dass mir ansonsten die Zeit zur Erholung fehlt. Wenn das bedeutet, dass du mir einzelne Verantwortungsbereiche wieder entziehen möchtest, kann ich das verstehen."
Damit hast du klar adressiert, dass du hinter ihm / dem Unternehmen stehst, dass du aber auf eine saubere Trennung von Arbeits- und Freizeit bestehst und dass du notfalls in Kauf nimmst, Verantwortung abzugeben. Jetzt können deine Vorgesetzten entscheiden, ob sie das wollen, oder ob sie sich selber am Riemen reissen und deine - absolut berechtigte - Bitte respektieren. Auf lange Sicht möchte ich dir sagen, dass es sich selten lohnt, als Angestellte/r Überstunden (ja, auch auf dem Handy) zu leisten. Meist wirst du nur ausgenutzt (nimm es als Hinweis, wenn du dein Handy privat bezahlst und trotzdem Firmenmails beantwortest). Wenn du wirklich so viel Energie und Zeit hast, dann investiere sie besser in ein eigenes Projekt oder eine Weiterbildung.

Vereine / Kirche / Freunde

Es gibt Menschen, die leben in Vereinen auf - Sport, Kirchgemeinde, Feuerwehr etc. Auch hier muss man darauf achten, nicht "in alten Zöpfen" hängen zu bleiben. Sobald man merkt, eine Aktivität verlangt einem mehr Energie ab, als man von ihr ziehen kann, sollte man sich distanzieren. Vielleicht ist einfach eine Pause angesagt. Manchmal ist die Lösung auch, sein Engagement zu reduzieren, z.B. nur an jede dritte Sitzung zu gehen. Je nachdem, welche Rolle man im Verein innehat, geht das.

Bei Freunden ist es schwieriger. Häufig klammern sie sich an einen und die gemeinsame Zeit - aus Gewohnheit meistens - und egal, wie nett man es formuliert, dass man sich seltener treffen will, es wird immer als Beleidigung und Zurückweisung empfunden. Stattdessen rate ich hier zu der Strategie, ein Jahr auf Reisen zu gehen. Auch wenn es nicht stimmt. In der (künstlichen) Abwesenheit haben beide Parteien Zeit, sich über den Wert der Freundschaft klar zu werden. Jeder Mensch ist anders, aber für mich persönlich sind die Freundschaften am wertvollsten, die auch dann noch bestehen, wenn man sich nicht regelmässig treffen kann. Wenn man sich nach einem Jahr - oder zwei - wiedersieht und es sich anfühlt, als wärs gestern gewesen.

Partner & Kind(er)

Am schwersten finde ich, ist es, beim Partner und bei / von den Kindern Zeit für sich selbst durchzusetzen. Man arbeitet, macht den Haushalt und hat oft ein schlechtes Gewissen, wenn man dann noch Zeit für sich ganz allein beanspruchen will. Aber wer es kennt, kennt es eben: Nach einer Weile ist man einfach nur noch genervt. Konstant. Man giftet sich gegenseitig an, ist zwar physisch anwesend, mental aber ganz woanders und emotional gesehen würde man am liebsten Reissaus nehmen. So weit sollte es gar nicht erst kommen.

Das bedeutet aber, dass man aktiv vorbeugen muss. In jedem Erziehungsratgeber steht, wie wichtig Zeit für sich selbst und für sich als Paar - d.h. ohne Kind - ist. Man muss diese Zeit genau so einplanen, wie Arzt- oder Geschäftstermine. Das OK vom Partner / der Partnerin ist dabei selten das Problem - er / sie will ja auch Zeit für sich haben. Das Überwinden der eigenen Zweifel ist der Kraftakt. Und auch die Erkenntnis, dass Freizeit plötzlich kostet - nämlich Organisationszeit und auch Geld (Babysitter). Ein Burnout ist aber teurer.